Nah und fern | Gedanken zum Jahresende

 Folge 5: Nah und fern | Gedanken zum Jahresende

Was ist richtig?

Was kann ich wagen, was mach ich lieber nicht? Wie oft habe ich mir in diesem Jahr diese Frage gestellt. Oft, sehr oft. Wer nicht? Wie sind die Regeln, wie sind die Risiken? Kann ich das verantworten, jetzt auf Tour zu gehen? Freunde zu treffen? Konzerte zu geben? Einen Kindergeburtstag zu feiern?

Einiges hab ich gemacht und anderes lieber nicht. Und was jetzt richtig war und was nicht… wirklich wissen kann tue ich es oft nicht. Nur das Gefühl haben: so war es besser. Vielleicht. 

Perspektive

Immer wieder den Blick heben und neuen Mut fassen, neue Pläne schmieden, mit dem Wissen, dass es gut sein kann, dass alles wieder in sich zusammen fällt. Langsam müsste man sich doch dran gewöhnen. Manchmal geht es gut und manchmal kostet es wahnsinnig viel Kraft. 

Immer wieder den Blick zu lenken auf die Dinge, die sich gut entwickeln, auf das was man hat und was wertvoll ist. Und auch abzuwehren, was zu viel Energie kostet, zu viel Negatives triggert. Will ich mich durch Papierkram und Bürokratie arbeiten oder will ich die Energie lieber in etwas Kreatives stecken? Auch wenn ich dann nicht das Optimum heraushole an finanziellen Hilfen etc. ? 

Wie sehr halte ich an den bekannten Strukturen fest und wo wage ich Neuland? 

Wo ist physische Nähe wichtig, und wo kann ich auch Alternativen entwickeln? Die wirklich wertvoll sind und Sinn machen? 

Nähe auf Distanz

Eine meiner großen persönlichen Errungenschaften dieser Zeit sind die Online-Kurse, die ich gebe. Interessanterweise geht es da auch ganz viel um Nähe und Vertrauen und Zulassen von Nahbarkeit. 

Ich darf im Moment  gerade wieder mit fünf tollen Menschen in meiner Vocal Masterclass arbeiten. Und bin sehr berührt davon. So unterschiedlich diese Menschen sind, wo sie herkommen, was sie beschäftigt.
Und dann kommen sie hier im virutellen Raum zusammen und lassen sich ein. Und es tauchen unterschiedlichste Sachen auf – und doch gibt es so etwas wie einen roten Faden: Berührt werden und sich berühren lassen. 

Da braucht man mal konkrete gesangstechnische Hilfen, um sich mal mit einem Rocksong frei zu brüllen. Und endlich die ersehnten Vocal Breaks zu machen. Und der Rocksänger entdeckt seine fragile, ganz direkten Zugang zum puren Erzählen eines Songs. 

Die Gesangslehrerin findet sich plötzlich in einem Country Song wieder, den sie so niemals gehört hätte. Und findet ihre ganz eigene Version. Die Chefin, die sonst die Macherin vom Dienst ist, schafft es, mal einfach nicht so viel zu machen. Sondern zu lassen, was da ist. Und sieht, dass das genug ist. Und der Chorsängerin, die sich zeigen möchte, wird das sich zeigen plötzlich zu viel und sie merkt, dass sie erstmal selbst erforschen möchte, was  da eigentlich mit ihr passiert, wenn sie einen deutschen Text singt. 

Und ich lasse mich ein. Auf jede/n einzelnen. Und verbinde Gesangstechnik aus CVT mit der von Estill und den Wahrnehmungen aus dem Lichtenberg-Bereich und gucke die Songs an und lasse sie kommunizieren. Und folge meiner Erfahrung und Intuition und die Gruppe auch. Dann weiß man schon, was gebraucht wird. Und merke wieder einmal: darum geht es. Um Kommunikation. Und sich mitteilen. Sich selbst, zu sich selbst, zu anderen. Kontakt aufnehmen. Zur Person, zur Stimme, zu den anderen. 

 

Nähe ohne Distanz


Aber auch die andere Erfahrung habe ich immer wieder gemacht: was physische Nähe dann mit uns macht- gerade wenn wir sie lange nicht erlebt haben! Der Klassenabend, in dem die Studierenden endlich sich und ihre Songs zeigen können und die Kommiliton:innen sind außer Rand und Band. So eine gelöste, euphorische Stimmung- wie hat uns das gefehlt!

Die Konzerte, bei denen dann am Ende des Songs wirklicher echter Jubel ausbricht. Eine unglaubliche Erfahrung, gerade weil sie so selten geworden ist. 

Überwältigend. 

Fern und nah

Fern und nah – das kann auch bedeuten: Wann bleibe ich bei dem, was ich kenne, in dem bekannten Setting, das mir nicht viele Überraschungen bietet – aber Sicherheit, Wohlsein und Wärme.
Und wann traue ich mich raus in die Kälte, lasse ich den Wind um mich wehen? Und weiß nicht, was mich hinter der nächsten Biegung erwartet, wer an mich herantritt und was von mir will? 

Bleibe ich morgens im warmen Bett oder gehe ich raus in den Nieselregen und laufe durch den Wald? 
Mal das eine, mal das andere. Ich glaube, das ist gut.

Und jetzt?

Durchatmen, nicht aufgeben, weiter hoffen und genießen, was da ist. 
Dankbar sein für das,  was gut ist. Da ist zum Glück immer was.
Immer.