Begegnungen: in Groß und Klein

Folge 7: Begegnungen:  in Groß und Klein
Dezember 2022

Hamsterrad 

Das Hamsterrad dreht sich wieder und alle strampeln wie eh und je. Ich eingeschlossen. Alles was 2020 und 2021 nicht stattfinden konnte wurde in dieses Jahr 2022 gepackt, oder? Die Zeit des Innehaltens und der Isolation scheint lange her zu sein. Ist sie noch gar nicht. Hat sie uns verändert? Wie? 
Anfang 2022 habe ich Menschen in meinem Umfeld gefragt, wie sie die Pandemie Zeit beschreiben würden, wenn sie nur drei Worte dafür hätten. Ich habe Musiker gefragt, was sie spielen würden in der Isolation und in der Begegnung. Und was darüber hinaus noch zu sagen wäre. Es haben 35 Personen mitgewirkt!!!! Daraus ist eine tolle Klang-Collage entstanden. Und dann ging das Hamsterrad los. 

Klangwolke

Und jetzt ist die Zeit und Muße gekommen, diese Collage fertig zu stellen. Und mit Bildern von mir zu ergänzen. Ich freue mich, diese Klangwolke mit Euch zu teilen. Ich freue mich sehr über Eure Erfahrungen in den Kommentaren unter dem Video. 

 
Rückzug und Leichtigkeit

Interessant war für mich zu erkennen, wie unterschiedlich die Essenz dieser Zeit bei allen beteiligten Menschen dieses Projektes ausgefallen ist und wie die unterschiedlichen Phasen der Pandemie und die damit verbundenen Beschränkungen und Möglichkeiten der zwischenmenschlichen Begegnungen uns geprägt haben. Wie wichtig Rückzug ins Kleine für uns ist. Und dann auch wieder die Leichtigkeit der zufälligen Begegnungen.
Mich hat vor allem das gesprochene Wort begeistert, damit möchte ich mich weiterhin beschäftigen. Auch im Zusammenhang mit Musik haben sprechende Stimmen eine unglaubliche Macht. Und wie sehr wir durch Sprache und Musik berührt werden. So groß die Hemmschwelle bei vielen ist, dies zu tun, so berührend und unmittelbar können Emotionen übertragen werden, wenn es doch gelingt.
Mein musikalischer und kulturpolitischer Horizont hat sich durch dieses Projekt wahnsinnig erweitert und ich bin inspiriert, diese Arbeit fortzuführend und die Rolle als „Nachfragende“ und „in Begegnung tretende“ fortzuführen. 

Und die Corona Zeit hat doch was mit uns gemacht. Ganz sicher. Sie hat unsere Art der Begegnungen verändert. 

Begegnungen: in Klein

In den Zeiten der totalen Isolation waren viele Begegnungen nicht möglich: die zufälligen, die gelegentlichen, viele freundschaftlichen und familiären Begegnungen, die davor so selbstverständlich zu unserem Leben gehörten. Wir hatten nur zu ganz wenigen anderen Menschen Kontakt, dafür mit denen und mit uns selbst viel mehr davon als jemals zuvor. Zeitlich gesehen und auch die Intensität betreffend. Ich habe noch nie soviel Zeit mit unseren Nachbarn draußen im Hof verbracht wie in dieser Zeit- sie waren die einzigen „echten“ Begegnungen, die wir zu dieser Zeit hatten. Und wir als kleine Familie: zwei Erwachsene, zwei Kinder. Die immer alle zu Hause waren. Und wir alle mussten unseren Bedarf an gemeinsamer und auch individueller Zeit immer wieder miteinander abstimmen, verhandeln und organisieren.
Der Fokus dieser Zeit war „klein“: unser Zuhause, unser Wald, unsere Familie, unsere Interessen/Themen.

Begegnungen: in Groß

Und gleichzeitig öffnete sich eine bisher fast ungenutzte Tür ins „Groß“: die digitale Welt. Plötzlich wurden Konferenzen möglich, an denen alle Beteiligten teilnehmen und sich begegnen konnten, egal wo sie wohnten. Ich konnte am selben Tag eine Fortbildung in San Francisco besuchen, meine Studierenden in Frankfurt unterrichten und abends ein Konzert in Kopenhagen sehen. Alles von Zuhause aus. Das eröffnet eine ganz neue Möglichkeit, mit der „großen weiten Welt“ in Beziehung zu treten.
Die Vertrautheit mit Online-Konferenzen führte auch dazu, dass ich plötzlich alte Freunde wieder treffen konnte, unkompliziert für eine Stunde- mit tausenden Kilometern zwischen uns.

Ungeahnte Fenster

Dann kam die Zeit der Lockerungen. Die Kinder konnten wieder in die Schule /KiTa, aber die meisten Tätigkeiten aus dem Leben „davor“ waren nicht möglich. Die wegfallenden Reisetermine für Konzertreisen oder Dozententätigkeit und auch die fehlenden Freizeitaktivitäten und sozialen Verpflichtungen öffneten ungeahnte Zeitfenster. Ich war nicht nur jeden Tag, ich war auch jeden Abend und jedes Wochenende zu Hause. Das hatte ich noch nie erlebt.
Ich konnte das neuentdeckte Fenster in die Welt nutzen, ich hatte plötzlich die Zeit dazu. Ich konnte Fortbildungen zu verschiedensten Themen besuchen, mich jede Woche verlässlich mit einer Gruppe von Kolleg:innen zum Improvisieren treffen, mit einer anderen Gruppe jede Woche zum „Songclub“, mit meiner Dozenten-Kollegin zum gegenseitigen Austausch und Unterrichten treffen. All das, wofür sonst nie Zeit bleibt oder nur sehr schwer zu organisieren ist.

Desillusion

Und dann kam nochmal Zeit der Isolation. Und nochmal die der Lockerungen. Und der Enthusiasmus aus den ersten Erlebnissen war schwer aufrechtzuerhalten. Jetzt fehlten mir die echten Begegnungen – im Angesicht der fehlenden Illusion einer kurzen Dauer dieser Lebenssituation. Ängste wurden stärker. Konzerte und berufliche Termine schon weit in der Zukunft abgesagt. Desillusion.

Begegnungen: in Groß und Klein

Und dann die Zeit einer „neuen Normalität“: Begegnungen sind wieder möglich. Auch in großen Gruppen, auch die zufälligen. Wir reisen wieder. Wir gehen wieder essen, ins Kino, schwimmen. Wir treffen wieder die Freunde und Verwandten, die wir so selten gesehen haben. Und es tut so gut. Ich merke, wie mir das gefehlt hat. Und dass ich gleichzeitig nicht will, dass mir der neu entdeckte Freiraum der unverplanten Zeit nicht wieder verloren geht.

Wie schwer das ist, merke ich jetzt, am Jahresende. Jetzt, wenn ich aus dem Hamsterrad aussteigen kann. So, so schwer.
Aber vielleicht ist das der Gewinn: dass ich merke, dass es schwer ist. Was mir fehlt. Dass ich bemerke, im Hamsterrad zu rennen. Dass ich dankbarer bin für alles, was ich machen kann. Und auch, wenn ich zu Hause sein kann. Denn nicht alles ist gut zu tun, nur weil es jetzt wieder geht. Aber das wird die nächste Aufgabe.

Jetzt erstmal: Stop. Pause. Nichts müssen. Plätzchen essen 🙂